Andrea Iten - Somnia, Installation, Kunsthaus Glarus 7.7 – 1.9.2002


Der Mensch, würde er von Zeit zu Zeit
nicht souverän die Augen schliessen,
er sähe zu guter Letzt nicht mehr,
was angeblickt zu werden verdient.

René Char, Hypnos

Zwei grosse Klagen charakterisieren den öffentlichen Diskurs unserer Tage. Es sind die Klagen vom "Verschwinden der Dinge" und von der "Gewalt der Bilder". Tatsächlich jedoch verschwinden nicht die Dinge, sondern das Unsichtbare, und die telegen bebilderte Behauptung von der Gewalt, die von den Bildern der Gewalt ausgehen soll, wiederholt die Amputation des Imaginären ein weiteres Mal. Was sich unseren Blicken entzieht, das gibt es nicht. Demo or die.

SOMNIA notiert die Arbeit des Imaginären. Im permanenten Abschreiten, Verändern, Neuverhandeln der Grenzverläufe zwischen Innen und Aussen, Tag und Nacht, Geräusch und Stille, Komposition und Assoziation entsteht ein Diskurs gegen das Bilderkoma, ein Diskurs, in dessen Schutz der Schlaf sein Geheimnis bewahrt. Selbst die Metapher, ebenso grenzgängerisch wie die Schwelle, die sie besetzt, verweigert sich der Sucht nach Eindeutigkeit: Somnia, der Schlaf - aber auch: Traum, Wahnhaftigkeit, Todesschlaf.

Das Vexierspiel von Medienzitaten - Video und Theater -, die Elemente Text, Bild, Ton, Objekt sind zu einer vielschichtigen, verräumlichten Erzählung verarbeitet, die formal in einem dreidimensionalen Tryptichon organisiert ist. Das Publikum ist Teil dieser Erzählung. Es kann die Rauminstallation nicht nur betrachten, sondern auch begehen und benutzen und sich in den drei Räumen auf immer neuen Ebenen der Wahrnehmung bewegen.

Während im ersten Raum der Text SOMNIA mit der Ebene der Bilder in einer verdichteten Komposition korrespondiert, wird im dritten Raum das Dokument einer Nacht im Schlaflabor gezeigt: ein Schlafender und die Aufzeichnung seiner Hirnströme.

Im mittleren Raum, zwischen den beiden äussersten Polen der imaginativen Aktivität, wird der Blick nach innen gelenkt. Das Publikum kann sich auf Matten legen, aus denen interaktiv gesteuerte Klänge zum Körper und Ohr der Liegenden dringen.

Die Spannung zwischen erstem und drittem Raum, zwischen konkreter und diskreter Annäherung, halten zum einen die Installation zusammen und wenden sich zugleich vom geschlossenen Werk ab, lösen es gewissermassen von innen her auf. Die Revision der eigenen Bilder, die dem Publikum im mittleren Raum möglich wird, öffnen die Arbeit und laden die paradoxe Gestalt des "blinden Sehers" im Flug durch Raum und Zeit zur Rückkehr in das profane Jetzt ein.

Die Asynchronität, Parallelität, Kollision von Bildern, Texten, Tönen und Räumen, die Verbindung von Tryptichon und begehbarer Installation ist kein labyrinthisches Abbild, keine Konstruktion zum Vorzeigen von Traumbildern, kein Hinterhalt, in den wir gelockt werden, um uns erneut unserer eigenen Bilder und Geschichten berauben zu lassen. Selbst die Diagramme des Schlaflabors wirken wie ein weiterer Schutz vor dem Terror des Offensichtlichen: Was sie enthüllen wollen, verbergen sie, denn was der Schlafende hinter den geschlossenen Augen sieht, verschliesst sich dem Blick der Anderen.

Regine Halter

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